Haus der deutschen Sprache
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Wer bietet mehr?

Hat in Wirklichkeit Finnisch die Nase vorn? Gemeinhin jedenfalls gilt Deutsch als Weltmeister im Zusammenfügen mehrerer Wörter zu neuen Begriffen:

Haus / Hausmeister / Hausaufgabennachhilfeinstitut / Hausnummer / Hausärztin / Tollhaus / hausbacken / aushäusig / Hausschuh / Hausgast / hausintern.

Ohne selbständiges zweites oder drittes Wort:

häus-lich, un-be-haus-t, Be-haus-ung, haus-en und haus-ie-ren.

Auch das Verändern der Wortbedeutung durch das Vorschalten von Silben und/oder das Anhängen von Endungen ist typisch für unsere Sprache:

Stimme, stimm-en, Stimm-ung, vor-aus-be-stimm-t, ab-stimm-en, Ver-stimm-ung, stimm-ig, stimm-lich, Stimm-los-ig-keit, un-be-stimm-bar, über-stimm-en.

Mit dieser Stärke unserer Sprache hat sich schon vor fast 400 Jahren der gelehrte Jurist Schottelius theoretisch auseinandergesetzt: Dikwanst, Rathgeber, Freygeist.

Wer Deutsch als Fremdsprache lernt, hat mit manchen Eigenheiten der deutschen Wortzusammensetzungen anfangs seine liebe Mühe:

Was ist der Unterschied zwischen vierzehntäglich und vierzehntägig?

Wieso das Haus, der Hausmeister, die Hausaufgabe?

Verbrennen – klar: brennen plus ver-. Aber verlieren? Verdauen? Verflixt!

„Er hat die Einwände übergangen und ist zur Tagesordnung übergegangen. Kann das mal jemand kurz erklären? Bitte auch gleich: Wer abnimmt, nimmt ab.

Wieso lernt man rechnen im Rechenunterricht, das Lesen im Leseunterricht? Warum werden unterm D-A-CH die Kirschen zum Kirschkuchen, die Pflaumen hingegen zum Pflaumenkuchen verarbeitet? Nicht einmal das HDS könnte seinen ausländischen Gästen diese Fragen beantworten.

Was soll der Neuankömmling – wie heißt eigentlich die weibliche Form? – also: was sollen unsere ausländischen Gäste denken, wenn sie auf der Speisekarte gleich nach dem Schweine- und dem Kalbsschnitzel das Jägerschnitzel sehen? Das Riesenschnitzel?

Die vielzitierte Denkpause – dient sie zum Denken oder zu dessen Unterbrechung?

Die Schmerztablette nimmt man gegen den Schmerz, Eierlikör wird aus Ei gemacht, Klosterlikör im Kloster. Das Kinderzimmer hat man für die Kinder, den Rasierschaum zum Rasieren. Das Abendessen gibt’s am Abend. Staubsauger und Heckenschere machen sich ohne Präposition über ihr Objekt her, Gänsebraten und Reibekuchen haben das Schlimmste schon hinter sich. Der Ehekrach findet zwischen zwei Menschen statt, und der Maulfechter ficht allein mit seinem Maul, der Spiegelfechter hingegen gegen – ja gegen wen eigentlich? Alles klar?

Oder das: Da hat die Einwanderin gelernt: Die Vorsilbe un- verwandelt das Grundwort in sein Gegenteil: Was nicht fein ist, ist unfein, und statt unkeusch ist sie lieber keusch. Wieso kann sie dann abdingbar, ablässig, bändig, bedarft, entwegt, flätig, gefähr, geschlacht, zählig oder säglich nicht im Wörterbuch finden?

Doch ist er einmal gelernt, der sichere oder spielerische Umgang mit den „Lego-Steinen“ der deutschen Sprache, dann eröffnet er eine Vielfalt farbiger, überraschender, präziser oder gefühlsstarker Ausdrucksmöglichkeiten.

Manche von ihnen sind so unnachahmlich, dass andere Sprachen sie sich bei der deutschen ausgeliehen haben. Die Russen kennen Maßstab, Butterbrot und Zeitnot. Zeitgeist ist den Amerikanern so vertraut wie Weltschmerz und Kindergarten. Rucksack nennt man in Nowosibirsk wie in New Orleans das Rückengepäck. Und für Schadenfreude gibt’s in vielen Sprachen bekanntlich nur das deutsche Doppel- als Fremdwort.

In seinem neuen Buch „Speak German“ (Rowohlt, 2008) sieht Wolf Schneider zwei Gründe für die Beliebtheit mancher deutscher Wortverbindungen (HDS-Rezension):

„Zum einen sind die deutschen Zusammensetzungen einfach praktisch: ‚Machwort’ statt im Französischen parole énergique, ‚Tierschutzverein’ statt auf Englisch Society for the Prevention of Cruelty to Animals‚ ‚Geisterfahrer’ statt auf Spanisch conductor que circula en sentido contrario.

Zum zweiten haben sie oft eine besondere Kraft – wie das Schandmaul, aus dem man das Böse spritzen hört, oder der Nervenkitzel, der ungleich anschaulicher ist als der englische thrill: die Naschkatze, die Zwangsvorstellung, der Schmollmund, die Torschlusspanik. Vor allem aber geben die Doppelwörter uns die Chance, Schwebezustände und Mischgefühle zu benennen, vor denen die meisten Sprachen kapitulieren: die Hassliebe beispielsweise oder den Weltschmerz, die äußerste Empfindsamkeit, die Wundheit der Seele.“

2007 nach seinem deutschen Lieblingswort gefragt, strahlte der finnische Stipendiat der „Initiative Deutsche Sprache“: Bordsteinkante – jalkakäytävän reuna