Haus der deutschen Sprache
Gedicht des Monats

Gedicht des Monats Januar 2009

Schiller-Standbild in Kaliningrad2009 – 1759 = 250

“Nicht umstoßen! Das war ein Dichter.“

So soll es, in russischer Sprache, auf einem Zettel gestanden haben, den ein sowjetischer Soldat an dieses Denkmal geheftet hat. Dass es wirklich so war, kann kein heute noch Lebender bezeugen. Doch alle können sehen: Das Monument hat die Erstürmung und Verwüstung Königsbergs durch die sowjetische Armee im April 1945 aufrecht überstanden. Die später angebrachte kyrillische Umschrift des Namens zeigt: Das Monument genießt Achtung in Kaliningrad (wie die seit über 60 Jahren russische Stadt nun heißt).

Das bedeutet freilich nicht, dass die Kaliningrader Russ(inn)en eine enge oder überhaupt eine Beziehung zum dichterischen Werk Schillers hätten. Was dieser deutsche Dichter geschrieben hat und warum ihm seine Landsleute dieses Denkmal errichtet haben, weiß sicher fast niemand von ihnen.

 

 

 

 

Goethe und Schiller vor dem Nationaltheater in Weimar Auch im deutschen Sprachgebiet (“Deutschland“ als Staat gab es zu Schillers Lebzeiten ja nicht) hat man ihm so manches Denkmal errichtet, in jeder Stadt eine Straße, eine Schule oder eine Weinstube nach ihm benannt. Und wer uns nach den größten deutschen Dichtern fragt, wird mit Sicherheit hören: “Goethe und Schiller“. Doch wer genau diese Herren gewesen seien und worauf ihr Ruhm gründe, sollte der Fremde besser nicht fragen. Umgekehrt: Was weiß der Kaliningrader Durchschnittsrusse von Alexander Puschkin, dessen Denkmal nur ein paar hundert Meter von dem Schillers entfernt steht? Auch nicht viel. Aber er hat gelernt, stolz auf ihn zu sein. So ist das mit manchem steinernen oder bronzenen Denkmal.Schiller also. Sein Geburtsdatum jährt sich 2009 zum 250. Mal. Ein guter Grund, den Jahresreigen der “Gedichte des Monats“ im HDS mit Schiller zu eröffnen. Für die Medien wird das Jubiläumsjahr Anlass zu zahlreichen Artikeln und Sendungen über Schiller sein. Dürfen sie die wichtigsten Werke Schillers als bekannt voraussetzen?
Goethe und Schiller vor dem Nationaltheater in Weimar

Der Ruhm Friedrich Schillers (1759-1805) beruht in erster Linie auf seinen großen Dramen mit meist historischem Inhalt. “Die Räuber“ z.B., “Don Carlos“, “Wallenstein“, “Maria Stuart“, “Die Jungfrau von Orleans“ und “Wilhelm Tell“ werden noch heute immer wieder vor vollen Häusern gespielt, auch das ’bürgerliche Trauerspiel’ “Kabale und Liebe“.

Sein einziger Roman (“Die Geisterseher“) ist Fragment geblieben, und auch an kürzeren Erzählungen hat sich Schiller kaum versucht.

Oder doch? Eigentlich sind Schillers berühmte Balladen spannende Erzählungen, nur eben in Versen und gereimt. Etwa diese:

Die Bürgschaft

Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich
Damon, den Dolch im Gewande:
Ihn schlugen die Häscher in Bande,
»Was wolltest du mit dem Dolche? sprich!«
Entgegnet ihm finster der Wüterich.
»Die Stadt vom Tyrannen befreien!«
»Das sollst du am Kreuze bereuen.«

»Ich bin«, spricht jener, »zu sterben bereit
Und bitte nicht um mein Leben:
Doch willst du Gnade mir geben,
Ich flehe dich um drei Tage Zeit,
Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit;
Ich lasse den Freund dir als Bürgen,
Ihn magst du, entrinn‘ ich, erwürgen.«

Da lächelt der König mit arger List
Und spricht nach kurzem Bedenken:
»Drei Tage will ich dir schenken;
Doch wisse, wenn sie verstrichen, die Frist,
Eh‘ du zurück mir gegeben bist,
So muß er statt deiner erblassen,
Doch dir ist die Strafe erlassen.«

Und er kommt zum Freunde: »Der König gebeut,
Daß ich am Kreuz mit dem Leben
Bezahle das frevelnde Streben.
Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit,
Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit;
So bleib du dem König zum Pfande,
Bis ich komme zu lösen die Bande.«

Und schweigend umarmt ihn der treue Freund
Und liefert sich aus dem Tyrannen;
Der andere ziehet von dannen.
Und ehe das dritte Morgenrot scheint,
Hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint,
Eilt heim mit sorgender Seele,
Damit er die Frist nicht verfehle.

Da gießt unendlicher Regen herab,
Von den Bergen stürzen die Quellen,
Und die Bäche, die Ströme schwellen.
Und er kommt ans Ufer mit wanderndem Stab,
Da reißet die Brücke der Strudel herab,
Und donnernd sprengen die Wogen
Dem Gewölbes krachenden Bogen.

Und trostlos irrt er an Ufers Rand:
Wie weit er auch spähet und blicket
Und die Stimme, die rufende, schicket.
Da stößet kein Nachen vom sichern Strand,
Der ihn setze an das gewünschte Land,
Kein Schiffer lenket die Fähre,
Und der wilde Strom wird zum Meere.

Da sinkt er ans Ufer und weint und fleht,
Die Hände zum Zeus erhoben:
»O hemme des Stromes Toben!
Es eilen die Stunden, im Mittag steht
Die Sonne, und wenn sie niedergeht
Und ich kann die Stadt nicht erreichen,
So muß der Freund mir erbleichen.«

Doch wachsend erneut sich des Stromes Wut,
Und Welle auf Welle zerrinnet,
Und Stunde an Stunde ertrinnet.
Da treibt ihn die Angst, da faßt er sich Mut
Und wirft sich hinein in die brausende Flut
Und teilt mit gewaltigen Armen
Den Strom, und ein Gott hat Erbarmen.

Und gewinnt das Ufer und eilet fort
Und danket dem rettenden Gotte;
Da stürzet die raubende Rotte
Hervor aus des Waldes nächtlichem Ort,
Den Pfad ihm sperrend, und schnaubert Mord
Und hemmet des Wanderers Eile
Mit drohend geschwungener Keule.

»Was wollt ihr?« ruft er vor Schrecken bleich,
»Ich habe nichts als mein Leben,
Das muß ich dem Könige geben!«
Und entreißt die Keule dem nächsten gleich:
»Um des Freundes willen erbarmet euch!«
Und drei mit gewaltigen Streichen
Erlegt er, die andern entweichen.

Und die Sonne versendet glühenden Brand,
Und von der unendlichen Mühe
Ermattet sinken die Kniee.
»O hast du mich gnädig aus Räubershand,
Aus dem Strom mich gerettet ans heilige Land,
Und soll hier verschmachtend verderben,
Und der Freund mir, der liebende, sterben!«

Und horch! da sprudelt es silberhell,
Ganz nahe, wie rieselndes Rauschen,
Und stille hält er, zu lauschen;
Und sieh, aus dem Felsen, geschwätzig, schnell,
Springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell,
Und freudig bückt er sich nieder
Und erfrischet die brennenden Glieder.

Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün
Und malt auf den glänzenden Matten
Der Bäume gigantische Schatten;
Und zwei Wanderer sieht er die Straße ziehn,
Will eilenden Laufes vorüber fliehn,
Da hört er die Worte sie sagen:
»Jetzt wird er ans Kreuz geschlagen.«

Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß,
Ihn jagen der Sorge Qualen;
Da schimmern in Abendrots Strahlen
Von ferne die Zinnen von Syrakus,
Und entgegen kommt ihm Philostratus,
Des Hauses redlicher Hüter,
Der erkennet entsetzt den Gebieter:

»Zurück! du rettest den Freund nicht mehr,
So rette das eigene Leben!
Den Tod erleidet er eben.
Von Stunde zu Stunde gewartet‘ er
Mit hoffender Seele der Wiederkehr,
Ihm konnte den mutigen Glauben
Der Hohn des Tyrannen nicht rauben.«

»Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht,
Ein Retter, willkommen erscheinen,
So soll mich der Tod ihm vereinen.
Des rühme der blut’ge Tyrann sich nicht,
Daß der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht,
Er schlachte der Opfer zweie
Und glaube an Liebe und Treue!«

Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor,
Und sieht das Kreuz schon erhöhet,
Das die Menge gaffend umstehet;
An dem Seile schon zieht man den Freund empor,
Da zertrennt er gewaltig den dichter Chor:
»Mich, Henker«, ruft er, »erwürget!
Da bin ich, für den er gebürget!«

Und Erstaunen ergreifet das Volk umher,
In den Armen liegen sich beide
Und weinen vor Schmerzen und Freude.
Da sieht man kein Augen tränenleer,
Und zum Könige bringt man die Wundermär‘;
Der fühlt ein menschliches Rühren,
Läßt schnell vor den Thron sie führen,

Und blicket sie lange verwundert an.
Drauf spricht er: »Es ist euch gelungen,
Ihr habt das Herz mir bezwungen;
Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn –
So nehmet auch mich zum Genossen an:
Ich sei, gewährt mir die Bitte,
In eurem Bunde der dritte!«

Ähnlich dramatisch sind die anderen großen Balladen Schillers. In mehreren von ihnen treffen die Grausamkeit und der Zynismus der Herrschenden, der Tyrannen, auf den Mut, auf die Unbeugsamkeit einzelner ihrer Untertanen. Und immer enden diese Gedichte mit einer moralischen Botschaft.

Der Geist der Aufklärung und der Französischen Revolution (1789) hatte die deutschen Kleinstaaten erreicht. In eindrucksvolle Verse fasst Schiller einen zentralen Aspekt des neuen Denkens. (Im 20. Jahrhundert gewann er als “Widerstandsrecht“ erneut hohe Aktualität.) Im 2. Akt des “Wilhelm Tell“, seines letzten vollendeten Dramas, heißt es
beschwörend:

Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht.
Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden,
Wenn unerträglich wird die Last – greift er
Hinauf getrosten Mutes in den Himmel
Und holt herunter seine ew’gen Rechte,
Die droben hangen unveräußerlich
Und unzerbrechlich wie die Sterne selbst –
Der alte Urstand der Natur kehrt wieder,
Wo Mensch dem Menschen gegenübersteht –
Zum letzten Mittel, wenn kein andres mehr
Verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben –
Der Güter höchstes dürfen wir verteid’gen
Gegen Gewalt – Wir stehn für unser Land,
Wir stehn für unsre Weiber, unsre Kinder!

Wer weitere Balladen Schillers kennenlernen oder sie sich wieder ins Gedächtnis rufen möchte, braucht hier nur auf die Titel zu klicken: Der Taucher, Der Handschuh, Der Ring des Polykrates, Hero und Leander, Die Kraniche des Ibykus.

Die Lektüre lohnt sich. Allein durch die Sprache vermag Schiller dem Balladen-Geschehen Dramatik einzuhauchen, das Tempo zu steigern oder zu drücken, den Leser ungeduldig zu machen und auch wieder zu beruhigen. In der Ballade “Die Kraniche des Ibykus“ steckt die Spannung einer Kriminalgeschichte.

Zu Schillers umfangreichem Werk in Versen gehört auch viel Philosophisches, gedichtete Weltanschauung, “Gedankenlyrik“.

Anders als sein Zeitgenosse Goethe, bei dem eigenes Anschauen, Erleben und Fühlen das lyrische Werk prägen, dichtet Schiller aus dem Kopf. Das Meer z.B., die Klippen, die Raubtiere und Städte seiner Balladen – von all dem weiß er, hat er gehört oder gelesen, es aber nie mit eigenen Augen gesehen, nicht sinnlich erfahren. (In dem Strudel, in den der Taucher sich stürzt, schreckt diesen zugleich Süß- und Salzwassergetier.) Die Mittelmeerländer der klassischen Antike, oft Schauplatz seiner Dichtung, hat er – wiederum im Gegensatz zu Goethe – nie bereist. Er denkt sie sich und sich selbst in sie hinein. In dem programmatisch “Das Ideal und das Leben“ überschriebenen Gedicht bekennt er sich ausdrücklich dazu:

Aber flüchtet aus der Sinne Schranken
In die Freiheit der Gedanken[!]

Zwei von Schillers weltanschaulichen Gedichten ragen heraus:

Das eine ist die feierliche Ode An die Freude. Dieses Gedicht ist dadurch zu besonderer Ehre (und weltweiter Bekanntheit) gelangt, dass Beethoven es für den letzten Satz seiner letzten Symphonie, der “Neunten“, vertont hat und von einem mächtigen Chor singen lässt. Text und Melodie werden sich nie wieder trennen lassen (ähnlich wie bei den Beispielen beim Gedicht des Monats November 2008 ).

Das andere ist Die Glocke (1799, “Festgemauert in der Erden…“) – eine Art Panorama des damaligen bürgerlichen Lebens, seiner Freuden und Gefahren, der menschlichen Stärken und Schwächen. Auch wenn heute nicht mehr allzu viele Menschen dieses ungewöhnliche, lange Gedicht kennen, so führen wir doch alle viele Zitate daraus als Redensarten oder geflügelte Worte im Munde:

“Errötend folgt er ihren Spuren / Und ist von ihrem Gruß beglückt.“

„Drum prüfe, wer sich ewig bindet, / Ob sich das Herz zum Herzen findet.“

“O daß sie ewig grünen bliebe, / Die schöne Zeit der jungen Liebe!“

“Wenn gute Reden sie begleiten, / Dann fließt die Arbeit munter fort.“

“Der Mann muß hinaus / Ins feindliche Leben.“

“Und drinnen waltet / Die züchtige Hausfrau.“

“Doch mit des Geschickes Mächten / Ist kein ew’ger Bund zu flechten.“

“Wehe, wenn sie losgelassen.“

“Alles rennet, rettet, flüchtet, / Taghell ist die Nacht gelichtet.“

“Er zählt die Häupter seiner Lieben.“

“Da werden Weiber zu Hyänen.“

“Gefährlich ist’s, den Leu zu wecken, / Verderblich ist des Tigers Zahn.
Doch der schrecklichste der Schrecken, / Das ist der Mensch in seinem Wahn.“

Alles Schiller, alles “Glocke“.

Geboren ist der Dichter 1759 in Marbach am Neckar. Seine schwäbische Mundart hat er nie abgelegt. Er studierte zunächst Jura, dann Medizin und wurde mit erst  21 Jahren Regiments-Medikus in Stuttgart. Aus dieser Zeit stammt sein erstes Drama “Die Räuber“. Die Uraufführung in Mannheim (1782) war ein grandioser Erfolg.  Da Schiller aber ohne Erlaubnis des Herzogs nach Mannheim gereist war, erhielt er eine Haftstrafe, und weitere dichterische Arbeiten wurden ihm verboten.

Er floh zunächst nach Frankfurt am Main und zog dann nach Mannheim weiter. 1785 holte ihn ein Beschützer nach Sachsen und befreite ihn aus arger wirtschaftlicher Not. 1787 lud ihn Herzog Karl August nach Weimar ein, wo sich bereits Goethe, Herder und Wieland niedergelassen hatten. Neben seiner Dichtung beschäftigten ihn hier historische Studien und Veröffentlichungen. Goethe verschaffte ihm eine Professor für Geschichte im nahen Jena. 1790 heiratete Schiller und zog nach Jena. Aus gesundheitlichen Gründen musste er die Lehrtätigkeit dort schon 1791 wieder aufgeben. Es folgten mehrere philosophische Abhandlungen.

Porträt Schillers

 

 

Erst Mitte der 1790er Jahre kam es in Weimar zu regelmäßigen Begegnungen und zur  Zusammenarbeit mit Goethe. 1799 kehrte Schiller endgültig nach Weimar zurück. Nun widmete er sich ganz dem Drama – in seinem eigenen Schaffen (siehe oben) und durch Mitarbeit am von Goethe geleiteten Weimarer Nationaltheater. – Schiller ist im Mai 1805 in Weimar gestorben und dort bestattet worden.