Haus der deutschen Sprache
Deutsch - gestern und heute

Die deutsche Sprache im Wandel

Von der Mystik Meister Eckharts zur Aufklärung Christian Wolffs

Von Josef Bordat

Kultur und Sprache bedingen sich. Um einige, zum Teil einzigartige, Begriffe der deutschen Sprache zu verstehen, muss man ihre kulturhistorische Herkunft und Entwicklung kennen. Kulturelle Veränderungen verändern auch die Sprache.

Lutherbibel  Dieser Prozess war im deutschsprachigen Raum früher oft vom Wandel der theologischen und  philosophischen Gedanken oder Lehrmeinungen getragen. Wichtige Epochen der deutschen Sprachbildung gingen mit kulturellen Umbrüchen einher.Gut erkennbar ist dies vor allem bei der Entstehung des Neuhochdeutschen, die direkt mit der Reformation und der Bibelübersetzung Luthers zusammenhängt. Das reformatorische Anliegen, die Theologie den Klöstern zu entreißen und auf die Marktplätze zu tragen, und die Entwicklung einer einheitlichen Hochsprache bedingten und ermöglichten sich gegenseitig. Deutlich festzustellen ist das für die deutschsprachigen Teile der Schweiz, die traditionell im Einflussbereich des protestantischen Bekenntnisses liegen, insbesondere für den Raum Zürich.
Aber auch in Deutschland galt seit der Reformation der protestantische Norden als die Region mit dem „besten“ Deutsch, während der katholische Süden vom Alemannischen und Bairischen bestimmt blieb. Hochdeutsch wurde zur „Kampfsprache“ gegen das Lateinische der „Römischen“, d.h. der Katholiken, und gewann so kulturelle Bedeutung.

 

Hier soll die Aufmerksamkeit zwei herausragenden deutschen Geistesgrößen ganz unterschiedlicher Epochen gelten, die mit der Entwicklung sowohl der deutschen Kultur als auch der deutschen Sprache verbunden sind. Der eine, Meister Eckhart, lebte rund 200 Jahr vor, der andere, Christian Wolff, etwa 200 Jahre nach Luther (1483-1546).

Meister Eckhart wurde mit seinen deutschen Predigten in deutscher Sprache zum Initiator der „Deutschen Mystik“. Das war die theologisch-philosophische Strömung, die das Eins-Werden des Individuums mit Gott, die „unio mystica“, pries und lehrte. Damit löste Eckhart einen innerkirchlichen Zwist aus.

Christian Wolff war der Protagonist der Hochaufklärung in den Deutschen Landen. Wie sein großer Vorgänger, der Mathematiker und Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716), war Wolff Protestant. Ihm kommt für die deutsche Aufklärung eine Schlüsselrolle zu, vergleichbar der von John Locke für die englische oder von Voltaire für die französische Aufklärung.

Beide, Meister Eckhart und Christian Wolff, hatten, jeder in seiner Zeit und unter verschiedenen kulturgeschichtlichen Umständen, einen wichtigen Anteil an der Entwicklung der deutschen Sprache. Im Blick auf beide wird die oben genannte enge Verbindung der kulturellen mit der sprachlichen Weiterentwicklung deutlich.

Meister Eckhart ist um 1260 in der Nähe von Gotha als Sohn eines Ritters geboren. Sein Leben war geprägt von Gott und der Welt. Die Aufgaben des vermutlich schon 1275 in den Dominikanerorden eingetretenen Eckhart bestanden nicht nur im religiösen ‚Anschauen’ (Kontemplation), sondern auch in Forschung, Lehre und Meister EckhartOrganisation. Von 1277 bis 1289 oblag er dem ‚ernsten und allgemeinen Studium’ der ‚artes’ und der ’naturalia’, einer langen und – damals nicht unüblich – breiten Ausbildung. Er studierte in Köln, wahrscheinlich auch bei Albertus Magnus. Es folgte die Priesterweihe.

Um 1290 ging er nach Paris und wirkte dort als Lektor. 1294 wurde er Vorsteher (Prior) des Erfurter Dominikanerklosters. In dieser Zeit entstanden seine „Reden der Unterweisung“. 1302 lehrte er wieder in Paris. 1303-10 war Eckhart Leiter der neugebildeten Ordensprovinz Saxonia. 1311-13 folgte ein zweites Magisterium in Paris, eine Auszeichnung, die zuvor nur Thomas von Aquin erfahren hatte. 1314 wurde er Generalvikar des Dominikanerklosters in Straßburg.

Aus dieser Zeit stammt ein Großteil seiner bekanntesten Schriften, der „Deutschen Predigten“. 1322 übernahm Eckhart die Leitung seiner alten Ausbildungsstätte, des ’studium generale’ in Köln. – Dort wurde er 1325 durch Mitbrüder beim Kölner Erzbischof wegen angeblich ketzerischer Glaubensaussagen denunziert. Um dem Scheiterhaufen zu entgehen, widerrief er 1327 seine Thesen öffentlich. Das fiel ihm wohl deshalb nicht allzu schwer, weil gerade die kritischen Passagen falsch oder verkürzt aus Mitschriften seiner Predigten durch Ordensfrauen zitiert worden waren.

1328 starb er auf einer Reise zu Papst Johannes XXII. in Avignon oder kurz darauf in Köln.

Eckhart stand, wie gesagt, mit beiden Beinen im Leben, widmete sich zugleich der Vertiefung in seine religiöse Kontemplation und praktischen weltlichen Aufgaben. Das war die Einheit von ‚lêre’ und ‚leben’, die er selbst immer gepredigt hat.

Dazu gehörte für ihn auch, dass die Sprache der Lehre aus dem Leben zu kommen hat. So war es nur konsequent, dass Meister Eckhart seine Predigten auf Deutsch hielt, in der Sprache des Volkes.

Kennzeichen des von Eckhart geprägten Deutsch ist die Sprache der Metaphorik, d.h. der Bildhaftigkeit – tiefsinnig und zugleich anschaulich konkret. Er lauschte sie dem Leben der Menschen ab, höfischen Episoden und der mittelalterlichen Liebesdichtung, dem Minnesang. Er sprach von Gott als dem ‚hôhe fürste’, von der Seele als ‚minnewunt’ (von Liebe wund), und die im Zentrum seiner Predigten stehende Entrückung aus der Welt zu Gott wird zur ‚hovereise’, zur Reise an den Hof.

Das Bild des Flusses hilft, Gottes Wirken verständlich zu machen. ‚Götlicher inflûz’ ist mächtig und wirkungsvoll – wie der dem Leser oder Zuhörer vertraute Wasserstrom. An dieses dynamische Bild sollten wir uns erinnern, wenn wir auch heute noch von ‚Einfluss’ sprechen. Da geht es um die Kraft eines Flusses, nicht um das ‚Einfließen’ von ein paar Faktoren.

Die deutschen Wortschöpfungen des volkssprachlichen Predigers Eckhart sind stark und von erstaunlicher Differenziertheit. Überkommenen abstrakten Begriffen wird eine neue Bedeutung zuteil. Ein gutes Beispiel ist die uns heute noch geläufige ‚gelâzenheit’ – ein zentraler Begriff der Eckhartschen Mystik.

Als Voraussetzung für die Gottesgeburt in der Seele, also des Eins-Werdens von Gott und Individuum (unio mystica), muss der Mensch ‚gelâzen hân’ (zurück-, losgelassen haben), um schließlich ‚gelâzen’ zu ’sîn’. Das menschliche Individuum muss sich selbst und die ganze Welt „lassen“. Mit seiner Wortschöpfung ‚gelâzenheit’ stellte Eckhart der deutschen Sprache ein neues  Denk- und zugleich Sprachkonzept zur Verfügung.

Integration und Differenzierung, Einheit und Vielschichtigkeit, diese Aspekte der Eckhartschen Heilslehre konnten nur im Deutschen so vollendet ausgedrückt werden. Festzuhalten  ist, in den Worten des Eckhartforschers Josef Quint, dass „die Eckhartische […] Mystik das erste große Bad ist, dem der deutsche Wortschatz vergeistigt entsteigt“.

Nach diesem „Bad“ kam – um im Bild zu bleiben – die kalte Dusche: Deutsch hatte es nach Meister Eckhart schwer, sich als Gelehrtensprache durchzusetzen (vgl. Deutsch als Wissenschaftssprache). Rund 400 Jahre später ist es dann wieder eine herausragende Geistesgröße, die es wagt, den vorgegebenen sprachlichen Rahmen zu sprengen und sich des Deutschen als Publikationssprache zu bedienen, der Hallenser Christian Wolff. Er blieb damit dem Anliegen seines Vorgängers Leibniz treu, dem Deutschen akademische Akzeptanz zu verschaffen, es (nun) gegen das Französische zu stärken. Denn das hatte inzwischen Latein als zentraleuropäische Wissenschaftssprache abgelöst.

Christian WolffDer deutsche Universalgelehrte, Jurist und Mathematiker Christian Wolff (geboren 1679 in Breslau, gestorben 1754 in Halle) ist einer der wichtigsten Philosophen aus der Zeit zwischen Leibniz und Kant. Kein Denker des 18. Jahrhunderts verkörperte das Anliegen der Aufklärung in Preußen besser als Wolff. Er griff das von Leibniz errichtete philosophische System auf, ordnete dessen unsystematisch hinterlassenes Gedankengut nach Gesichtspunkten der Logik und Nützlichkeit und kleidete es in ein strengeres terminologisches Gewand. Damit hat Wolff Leibniz’ Ideen sowohl für die akademische Leere aufbereitet als auch für die Öffentlichkeit verständlich gemacht.

Wolff stärkte die deutsche Sprache, indem er als einer der ersten Philosophen einen großen Teil seines Werks auf Deutsch publizierte und seit 1707 in Halle Vorlesungen in deutscher Sprache hielt.  Er war der Meinung, dass „unsere Sprache zu Wissenschaften sich viel besser schickt als die lateinische.“

Er entwickelte sprachlich und inhaltlich das Konzept der ‚Welt-Weisheit’ zu einer Philosophie, die sich mit allgemein interessierenden Themen beschäftigt. Wolffs Welt-Weisheit popularisierte somit die Philosophie und trug sie ins Volk hinein. Der Hallenser wollte dabei ein Bildungsideal verwirklicht sehen, das die gesamte Gesellschaft durchdringt. Insoweit musste sich auch er – wie Meister Eckhart – der Sprache des Volkes bedienen, um für dieses verständlich zu sein. In der Rechtfertigung, „warum der Autor deutsch geschrieben“, sagte Wolff, dass er die Zuhörer nicht „von der Erlernung der Wissenschaften wegtreiben wollte, weil sie das Unglück gehabt in ihren Schul-Jahren in der Latinität versäumet zu werden.“

Die deutsche Philosophie verdankt Wolff ihre terminologische Grundlegung. Sie beruht auf einer Fülle neuer deutscher Wörter („Kunst-Worte“), die Wolff bei dem Versuch einer Verdeutschung lateinischer Begriffe bildete. Er selbst charakterisiert sein Vorgehen damit, „dass ich die deutschen Wörter in ihrer ordentlichen Bedeutung nähme und darinnen den Grund der Benennung zu dem Kunstworte suchte. Denn auf solche Weise ist mein Kunst-Wort rein deutsch, weil ich deutsche Wörter in ihrer eigentlichen Bedeutung brauche und indem ich sie zu einem Kunst-Worte mache, auf Sachen ziehe, darinnen etwas anzutreffen so durch das Wort in seinem eigentlichen Verstande genommen und angedeutet wird. […] Ferner ist zu merken, dass ich […] die deutschen Kunst-Wörter nicht aus dem Lateinischen übersetzt habe, sondern sie vielmehr so eingerichtet, wie ich es der deutschen Mund-Art gemäß gefunden, und wie ich würde verfahren haben, wenn auch gar kein lateinisches Kunst-Wort mir wäre bekannt gewesen.“

So gelang ihm eine sinnvolle Übertragung, und er umging gleichsam die Gefahr einer direkten Übersetzung der Fachausdrücke, denn die bringt ja manchmal eigenartige Begriffe hervor. Teilweise erweiterte er – wie zuvor schon Meister Eckhart – den Bedeutungsgehalt fremdsprachlicher Begriffe auf eine höchst fruchtbare Weise. So erscheint in seinem Deutsch die lateinische ‚causa’ je nach Zusammenhang als ‚Grund’ oder als ‚Ursache’. Wolff hatte zudem nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich Einfluss auf Kant, dessen „Ding an sich“ im übrigen nicht möglich gewesen wäre ohne Wolffs Bestimmung des Begriffs ‚an sich’. Zudem hatte Wolffs Sprachkritik durch ihre weite Verbreitung in den „Moralischen Wochenschriften“ großen Einfluss auf die Sprache der deutschen Dichtung.

Ohne Meister Eckhart und Christian Wolff wäre nicht nur die deutsche Geistesgeschichte und die deutsche Kultur, sondern auch die deutsche Sprache ärmer. Im Aufbegehren gegen das Etablierte, gegen die verkrusteten innerkirchlichen und gesellschaftlichen Strukturen lag die Kraft, die auf Kultur- und Sprachentwicklung gleichermaßen nachhaltigen Einfluss hatte.

Es ist unsere Aufgabe und wird die Aufgabe derer nach uns bleiben, die deutsche Sprache zu pflegen und in Fach- und Alltagsverwendung weiterzuentwickeln. Gerade die führenden Köpfe sind hier gefordert: Politiker, Journalisten, Lehrer, Wissenschaftler, Wirtschaftsführer und Dichter. Nach wie vor gilt, was Johann Friedrich Heynatz 1774 – zwanzig Jahre nach Wolffs Tod – den Deutschen ins Stammbuch schrieb: „Was ist nun unausbleiblicher, als dass die Sprache zurückbleibt, da der edelste Theil der Nation sich ihrer nicht annimmt.“